Arbeitsgruppe Kubik

Forschung - Cyclopeptide

Einleitung

Cyclopeptide sind in der Natur weit verbreitet. Ihre hohe physiologische Wirkung beruht häufig auf der Neigung, durch die ringförmige Struktur stabilisierte bioaktive Konformationen anzunehmen. Daneben verlangsamt der Ringschluss den Abbau durch Proteasen.

Cyclopeptide spielen aber nicht nur als (kleine) Substrate für (größere) Rezeptoren eine Rolle, aufgrund ihrer makrocyclischen Struktur können sie selber als Rezeptoren fungieren und (kleinere) Gastmoleküle in ihren Hohlraum einschließen. Diese Eigenschaft besitzt z.B. das natürliche Cyclodepsipeptid Valinomycin, dessen antibiotische Wirkung auf der Fähigkeit beruht, Kaliumionen komplexieren und durch Bakterienzellmembranen transportieren zu können.

Grundlegende Arbeiten zur Entwicklung von makrocyclischen Rezeptoren auf Basis von Cyclopeptiden wurden zwischen 1970 und 1990 in der Gruppe von E. Blout durchgeführt. Das Konzept, Cyclopeptide als synthetische Rezeptoren in der molekularen Erkennung einzusetzen, hat sich jedoch nicht allgemein durchgesetzt, obwohl solche Makrocyclen im Vergleich zu konventionelleren synthetischen Rezeptoren auf Basis von z.B. Kronenethern, Calixarenen oder Cyclodextrinen einige Vorteile besitzt. So sind

  • Cyclopeptide mit natürlichen Systemen strukturell eng verwandt,
  • ihre Ringgröße kann leicht variiert werden,
  • die sequentielle Synthese gestattet es, verschiedene Bindungsstellen in definierter Orientierung um den Hohlraum herum anzuordnen,
  • ihre Untereinheiten können in weiten Grenzen strukturell variiert werden und
  • sie sind chiral.

Diese Überlegungen haben uns motiviert, systematische Arbeiten zur Wirt-Gast-Chemie von Cyclopeptiden durchzuführen. In diesem Zusammenhang haben wir uns im Wesentlichen auf Verbindungen konzentriert, die in alternierender Sequenz aus natürlichen und nicht-natürlichen, aromatischen Aminosäureuntereinheiten aufgebaut sind, wobei die Aufgabe der starren aromatischen Untereinheiten in erster Linie in der Verringerung der konformativen Flexibilität des Rings besteht.

Cyclopeptid

Wir konnten zeigen, dass solche Peptide effiziente synthetische Rezeptoren für Kationen und Anionen darstellen. Dabei kann die Rezeptoraffinität durch Kontrolle der bevorzugten Konformation in Lösung gezielt beeinflusst werden. Während einige Cyclopeptide nur mit einem Bestandteil eines Ionenpaars wechselwirken, können andere beide Ionenpaarkomponenten gleichzeitig komplexieren. Schließlich lieferte die Einführung zusätzlicher Bindungsstellen entlang des Cyclopeptidhohlraums Wirtmoleküle für neutrale Gastmoleküle, wie Kohlenhydrate.

Unsere Arbeiten belegen demnach eindeutig das Potential, das Cyclopeptide als synthetische Rezeptoren besitzen, und sie lassen interessante Anwendungen für solche Makrocyclen erwarten.

Ringgröße

In der Gruppe wurden bisher cyclische Tetra-, Hexa- und Octapeptide mit von 3-Aminobenzoesäure abgeleiteten Untereinheiten synthetisiert. Da für die Mehrzahl der Bindungsstudien Hexapeptide verwendet wurden, sind diese strukturell am weitesten variiert worden. Octapeptide sind bei Verwendung von acyclischen natürlichen α-Aminosäuren als Untereinheiten zugänglich. Cyclische Tetrapeptide können synthetisiert werden, wenn Prolin als natürliche Aminosäure verwendet wird. Die Kristallstruktur zeigt, dass in diesen Peptiden die Amidgruppen an den Prolineinheiten in der cis-Konformationen vorliegen.

Kristallstruktur

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Die Kristallstruktur des cyclischen Tetrapeptids zeigt weiterhin, dass es keinen ausgeprägten Hohlraum besitzt. Die Kationenaffinität dieses Peptids ist dementsprechend im Vergleich zu der eines Hexapeptids gering. Tetrapeptide stellen allerdings interessante Kandidaten für die Entwicklung von Pinzettenrezeptoren dar.1 So haben wir eine Bisboronsäure auf Basis eines cyclischen Tetrapeptids entwickelt, welche Glucose in wässrigen Lösungsmitteln enantioselektiv komplexiert.2

Literatur

  1. S. Pohl, R. Goddard, S. Kubik Tetrahedron Lett. 2001, 42, 7555-7558.
  2. G. Heinrichs, M. Schellenträger, S. Kubik Eur. J. Org. Chem. 2006, 4177-4186.

Kationenerkennung

Cyclische Hexapeptide mit 3-Aminobenzoesäureuntereinheiten binden quaternäre Ammoniumionen in Chloroform. Die Kationenaffinität eines Peptids mit Glutaminsäureuntereinheiten ist allerdings gering.1 Ein Grund hierfür ist die konformative Flexibilität dieser Verbindung, die auf weitgehend ungehinderte Rotationen der Bindungen an den α-C-Atomen der Glutaminsäureuntereinheiten zurückzuführen sind. Diese Rotationen führen zu einem Gleichgewicht zwischen verschiedenen schalenförmigen Konformationen des Cyclopeptids, welche sich in der Orientierung der aromatischen Untereinheiten unterscheiden, wodurch das Peptid für die Kationenbindung nicht gut vororganisiert ist.

Konformationen

In dem entsprechenden Cyclopeptid mit Prolin- anstelle der Glutaminsäureuntereinheiten ist die Rotation einer Bindung an den C(&alpha) Atomen durch den Prolinring verhindert. Trotz der insgesamt verringerten Flexibilität dieser Verbindung kommt es in Lösung zu einer Rotation der sekundären Amidgruppen, da keine intramolekularen Wasserstoffbrücken diese Beweglichkeit verhindern. Dennoch ist das prolinhaltige Peptid für die Gastbindung besser vororganisiert und bildet dementsprechend mit quaternären Ammoniumionen stabilere Komplexe als das glutaminsäurehaltige.2

Konformationen

In prolinhaltigen Cyclopeptiden mit Substituenten in 4-Position der aromatischen Untereinheiten, welche intramolekulare Wasserstoffbrücken zu den benachbarten NH-Gruppen ausbilden, ist die Rotation der sekundären Amidgruppen verhindert. Diese Peptide nehmen in Lösung auch in Abwesenheit von kationischen Substraten eine für die Komplexbildung optimale Konformation an.3

Konformationen

Für ein Peptid mit Methoxycarbonylgruppen, dessen Kristallstruktur unten abgebildet ist, wurde die höchste Kationenaffinität aller bisher untersuchten Cyclopeptide beobachtet.3,4

Kristallstruktur

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Die Chiralität der Cyclopeptide erlaubt darüber hinaus auch die enantioselektive Erkennung chiraler quaternärer Ammoniumionen.5

Literatur

  1. S. Kubik J. Am. Chem. Soc. 1999, 121, 5846-5855.
  2. S. Kubik, R. Goddard J. Org. Chem. 1999, 64, 9475-9486.
  3. S. Kubik, R. Goddard Eur. J. Org. Chem. 2001, 311-322.
  4. S. Kubik, R. Goddard Chem. Commun. 2000, 633-634.
  5. G. Heinrichs, L. Vial, J. Lacour, S. Kubik Chem. Commun. 2003, 1252-1253.

Anionenerkennung

Anionen können über Wasserstoffbrücken mit den NH Gruppen von Cyclopeptiden wechselwirken. Bei der Bindung von Sulfonat nehmen cyclische Hexapeptide mit 3-Aminobenzoesäure- und Glutaminsäure- bzw. Prolinuntereinheiten Konformationen mit konvergierenden NH Gruppen an, welche für die Anionenbindung optimal sind. Ein Cyclopeptid, das eine solche Konformation auch in Abwesenheit des Gastes bevorzugt, müsste demnach aufgrund der besseren Vororganisation eine erhöhte Anionenaffinität besitzen. Die Charakterisierung der Bindungseigenschaften eines cyclischen Hexapeptids mit L-Prolin und 6-Aminopicolinsäureuntereinheiten bestätigte diese Annahme.1

Struktur

Die konvergierende Anordnung der drei NH Gruppen dieses Cyclopeptids ist in der Kristallstruktur eindeutig zu erkennen.

Kristallstruktur

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Dieses Peptid bindet Anionen wie Iodid oder Phenylsulfonat in DMSO in Form von 1:1 Komplexen.2 Interessanterweise gelingt die Komplexierung von Halogeniden oder Sulfat auch in sehr kompetitiven wässrigen Lösungsmittelgemischen, z.B. in 80% Wasser/Methanol. Unter diesen Bedingungen werden allerdings sandwich-artige 2:1 Komplexe gebildet werden, in denen ein Anion zwischen zwei ineinandergreifende Cyclopeptidringe eingelagert wird und an sechs NH Gruppen gleichzeitig bindet. Diese Anordnung wurde auch im kristallinen Iodidkomplex nachgewiesen. Es handelt sich bei diesem Cyclopeptid also um eines der wenigen neutralen Systeme, das eine Komplexierung von Anionen in wässrigen Medien gestattet.

Kristallstruktur

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Die Bildung des 2:1 Komplexes in wässrigen Lösungsmitteln ist ein kooperativer Prozess, da die Bildung des 2:1 Komplexes aus dem 1:1 Komplex mit einer wesentlich größeren Gleichgewichtskonstante verbunden ist als die Bildung des 1:1 Komplexes aus den Komponenten.3

Durch kovalente Verknüpfung zweier Cyclopeptidringe wurden die 2:1 Komplexe des Cyclopeptids in 1:1 Komplexe überführt, wodurch die Effizienz der Komplexbildung deutlich anstieg.4

Struktur

In jüngster Zeit wurden wasserlösliche Bis(cyclopeptide) dargestellt, die Anionen auch in Wasser binden.5 Ihre Anionenaffiniität in Wasser und organischen Lösungsmitteln konnte mit den Eigenschaften der Anionen und des Lösungsmittels korreliert werden.

Literatur

  1. S. Kubik, R. Goddard, R. Kirchner, D. Nolting, J. Seidel Angew. Chem. 2001, 113, 2722-2725; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2001, 40, 2648-2651.
  2. S. Kubik, R. Goddard, S. Otto, S. Pohl, C. Reyheller, S. Stüwe Biosens. Bioelectr. 2005, 20, 2374-2375.
  3. S. Kubik, R. Goddard Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 2002, 99, 5127-5132.
  4. S. Kubik, R. Kirchner, D. Nolting, J. Seidel J. Am. Chem. Soc. 2002, 124, 12752-12760.
  5. F. Sommer, Y. Marcus, S. Kubik ACS Omega 2017, 2, 3669-3680.

Ionenpaarerkennung

Während die Kationenaffinität der Cyclopeptide auf die um den Hohlraum angeordneten Aromaten und die Carbonylgruppen zurückzuführen ist, können Anionen an die NH Gruppen der Cyclopeptide binden. Einige Cyclopeptidderivate binden beide Bestandteile eines Ionenpaars gleichzeitig. So komplexiert ein glutaminsäurehaltiges Cyclohexapeptid Sulfonate oder Phosphonate, wobei es dabei eine Konformation annimmt, in der alle sechs NH Gruppen in das Zentrum des Makrocyclus weisen. Durch die Anionenkomplexierung steigt gleichzeitig die Kationenaffinität des betreffenden Cyclopeptids, da es für die Kationenbindung optimal vororganisiert wird und kationische Substrate im Cyclopeptidhohlraum mit den Aminosäureuntereinheiten und dem Anion gleichzeitig wechselwirken können.1

Anionenkomplexe

Ein ähnliches Verhalten wurde für das prolinhaltige Cyclopeptid beobachtet, das allerdings auch schwächer koordinierende Anionen wie Iodid bindet, da die NH Gruppen im Gegensatz zu dem glutaminsäurehaltigen Cyclopeptid in Abwesenheit von Gästen nicht in intramolekulare Wasserstoffbrücken eingebunden sind.2 Die gleichzeitige Wechselwirkung dieses Peptids mit einem Ionenpaar ist in der Kristallstruktur des Komplexes mit N-Methylchinuclidiniumiodid eindeutig ersichtlich.

Kristallstruktur

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Für die Beeinflussung der Kationenaffinität der Cyclopeptide durch ein Anion ist eine spezifische Anionenkomplexierung aber nicht notwendig. So können auch Anionen, die vom Cyclopeptid nicht gebunden werden, in organischen Lösungsmitteln aber eng an das Kation assoziiert sind, einen Effekt auf die Kationenkomplexierung ausüben. Dies zeigen Untersuchungen, die wir in Kooperation mit der Gruppe von Jerôme Lacour durchgeführt haben. Danach hängt die Stabilität des Komplexes eines Cyclopeptids mit einem chiralen quaternären Ammoniumion nicht nur von der absoluten Konfiguration des Kations, sondern auch von der des chiralen TRISPHAT Gegenions ab, welches nicht spezifisch an das Cyclopeptid bindet.3

Literatur

  1. S. Kubik J. Am. Chem. Soc. 1999, 121, 5846-5855.
  2. S. Kubik, R. Goddard J. Org. Chem. 1999, 64, 9475-9486.
  3. G. Heinrichs, S. Kubik, J. Lacour, L. Vial J. Org. Chem. 2005, 70, 4498-4501.

Kohlenhydraterkennung

Wir interessieren uns auch für die Entwicklung von Rezeptoren für neutrale Substrate auf Basis von Cyclopeptiden. Die Hohlraumdimension eines Hexapeptids mit L-Prolin- und 3-Aminobenzoesäureuntereinheiten ist z.B. gut für die Einlagerung eines Monosaccharids geeignet. Es fehlen aber funktionelle Gruppen entlang des Peptidhohlraums, mit denen solch ein Substrat wechselwirken kann.

Aus diesem Grund haben wir Cyclopeptide mit zusätzlichen Bindungsstellen in 5-Position der aromatischen Untereinheiten synthetisiert. Bei der Wahl der entsprechenden Substituenten haben wir uns an den Bindungsmotiven orientiert, die auch in der Natur zur Bindung von Kohlenhydraten ausgenutzt werden. So enthalten alle Substituenten Carboxylatgruppen, welche Wasserstoffbrücken zu den Hydroxygruppen von Zucken ausbilden können.

Kohlenhydratrezeptoren

Alle synthetisierten Cyclopeptide bilden in 4% Methanol/Chloroform Gemischen 1:1 Komplexe mit verschiedenen Monosacchariden. Die Stabilität der gebildeten Komplexe ist akzeptabel, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die in dem verwendeten Lösungsmittelgemisch in einem ca. 10.000 fachen Überschuss vorhandenen Methanolmoleküle mit den Zuckern um die Bindungsstellen am Rezeptor konkurrieren. Die Selektivität der Cyclopeptide bezüglich verschiedener Zuckeranomere oder -epimere ist jedoch gering.1 Interessanterweise binden dieselben Cyclopeptide geschützte Argininderivate sogar in Wasser.2

Literatur

  1. J. Bitta, S. Kubik Org. Lett. 2001, 3, 2637-2640.
  2. J. Bitta, S. Kubik J. Supramol. Chem. 2003, 1, 293-297.

Dynamische Kombinatorische Chemie

In enger Zusammenarbeit mit der Gruppe von Sijbren Otto haben wir die dynamische kombinatorische Chemie zur Optimierung der Anionenaffinität von kovalent verbrückten Bis(cyclopeptiden) eingesetzt. Hierzu wurde ein Cyclopeptiddisulfid unter geeigneten Bedingungen mit verschiedenen Dithiolen äquilibriert. Die Zugabe anionischer Template, z.B. Sulfat (als Kaliumsulfat), führte zur Amplifikation von Rezeptoren in dieser dynamischen Bibliothek, welche eine hohe Affinität für dieses Templat besitzen.1

Dynamische

Zwei der amplifizierten Rezeptoren wurden synthetisiert, und ihre Affinität gegenüber Iodid und Sulfat wurde mit der eines Adipinsäure-verbrückten Bis(cyclopeptids) verglichen. Es zeigte sich, dass beide Rezeptoren die betreffenden Anionen etwa eine Größenordnung besser binden als das adipinsäurehaltigen Derivat.

Die kooperative Wirkung beider Cyclopeptidringe bei der Bindung des Gastes ist in der Kristallstruktur des Sulfatkomplexes eines der mit Hilfe der dynamischen kombinatorischen Chemie identifizierten Rezeptoren deutlich erkennbar.2

Kristallstruktur

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Für entsprechende zweifach verbrückte Bis(cyclopeptide), die im Vergleich zu den einfach verbrückten Derivaten noch besser für die Anionenbindung vororganisiert sind, wurde in wässrigen Lösungsmittelgemischen (Acetonitril/Wasser 2:1) sogar bis zu nanomolare Affinitäten für Sulfatanionen beobachtet.3

Literatur

  1. S. Otto, S. Kubik J. Am. Chem. Soc. 2003, 125, 7804-7805.
  2. Z. Rodriguez-Docampo, S. I. Pascu, S. Kubik, S. Otto J. Am. Chem. Soc. 2006, 128, 11206-11210.
  3. Z. Rodriguez-Docampo, E. Eugenieva-Ilieva, C. Reyheller, A. Belenguer, S. Kubik, S. Otto Chem. Commun. 2011, 47, 9798-9800.

Letzte Änderung: 23-03-09. Email

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